von Christian Rosenblatt, 06. März 2020
Um eine Situation vollständig verstehen zu können, empfiehlt sich die Wahrnehmung aus verschiedenen Perspektiven. Die verschiedenen Sichtweisen – genannt Wahrnehmungspositionen - ermöglichen neue Erkenntnisse und eine Erweiterung des Blickwinkels für die Situation. Christian gibt anhand eines Fallberichtes einen Einblick, wie NLP-Interventionen mit dem Wechsel von Wahrnehmungspositionen im Coaching hilfreich eingesetzt werden können.
Sebastian ist Entwicklungsingenieur. Er arbeitet, seit Abschluss seines Studiums vor vier Jahren, in einem mittelständischen Unternehmen, welches kürzlich von einem größeren Konzern aufgekauft wurde. Aufgrund seiner guten Leistungen wurde er im Rahmen einer Umstrukturierung zum Teamleiter ernannt. Sein neuer Verantwortungsbereich bringt es mit sich, dass er neben seinen fachlichen und organisatorischen Aufgaben fünf Kollegen führt.
Einer der Mitarbeiter Sebastians, Herr S., ist deutlich älter und verfügt über etliche Jahre mehr Berufs- und Unternehmenserfahrung als er selbst. Sebastian hat das Gefühl, dass dieser Mitarbeiter den Kontakt zu ihm zu vermeiden versucht. In Meetings hinterfragt Herr S. Sebastians Statements und Entscheidungen sehr kritisch und lenkt, selbst wenn ihm die Argumente ausgehen, nur widerwillig ein. Kein Wunder, dass Sebastian zunehmend verunsichert reagiert, was die Sache nicht einfacher macht.
Sebastians Vorgesetztem bleibt diese Dynamik nicht verborgen. In einem Mitarbeitergespräch bekommt Sebastian daher den Rat, an „seinem Standing zu arbeiten“. Sein Vorgesetzter ist bereit, dies mit drei Coachingsitzungen zu unterstützen. Sebastian soll die Begleitung insbesondere dafür nutzen, die anstehenden Mitarbeiterjahresgespräche vorzubereiten.
Als Sebastian ins Coaching kommt hat er große Bedenken, wenn er an das anstehende Gespräch mit Herrn S. denkt. Er weiß, dass dies die Gelegenheit ist, das schwierige Miteinander anzusprechen und eine Klärung zu suchen. Gleichzeitig hat er Angst, dass Herr S. ihn auflaufen lassen wird. Sebastian vermutet, dass ihm Herr S. seine Position neidet, er wohl selbst gern Teamleiter geworden wäre und daher keine Situation ungenutzt lassen wird, um Sebastians Autorität zu untergraben.
Um Sebastians Vorannahmen über Herrn S. zu überprüfen, arbeiten wir mit der Methode „4 Landkarten – ein Gebiet“, ein Format, das auf dem Wechsel zwischen verschiedenen Wahrnehmungspositionen – oder auch Perspektiven- basiert. Nach einer Weile gelingt es Sebastian recht gut, sich in Herrn S. hineinzuversetzen. Zusätzlich schafft er es, die vergangenen Situationen auch aus einer distanzierten Perspektive – der sogenannten Metaposition – zu reflektieren.
Bei dieser Übung macht Sebastian eine erstaunliche Entdeckung: Herr S.‘s Interesse ist es gar nicht, Sebastian als Führungskraft zu „demontieren“! Eigentlich ist für Herrn S. Sebastian als Person sogar relativ egal. Denn ihm geht es vor allem um die Sache! Er selbst nimmt somit auch gar keine Störung in der Beziehung zu Sebastian wahr. Herrn S. ist es wichtig, den Dingen auf den Grund zu gehen. Er hinterfragt und tüftelt meist so lange, bis er sich selbst ein fundiertes Bild von allen Hintergründen gemacht hat. Und da ihm selbst Beziehung, Macht und Status nicht so wichtig sind, hätte er auch gar kein Interesse an der Rolle als Teamleiter gehabt.
Nun wird Sebastian endlich klar, was die Kollegen, die Herrn S. schon länger kennen, gemeint haben: Herr S. sei ein Eigenbrötler. Sebastian solle dessen Verhalten bloß nicht persönlich nehmen und ihn einfach seine Arbeit machen lassen.
Auf der Basis dieser Erkenntnisse entwickeln wir eine Strategie für das anstehende Mitarbeitergespräch mit Herrn S. Ziel des Gespräches sollte sein, dass Sebastian seine neuen Erkenntnisse über Herrn S. überprüft und dessen Sichtweisen (seine Wahrnehmungsposition) noch besser versteht. Anschließend möchte er zusammen mit Herrn S. ein Aufgabenportfolio für das kommende Jahr erarbeiten, in dem Herr S. möglichst viel für sich alleine tüfteln und der Abteilung einen guten Mehrwert verschaffen könnte.
In unserer abschließenden Sitzung berichtete Sebastian von einem konstruktiven Verlauf des Mitarbeitergespräches mit Herrn S. und guten Fortschritten in der Zusammenarbeit. Zwar tut sich Sebastian manchmal immer noch etwas schwer, mit Herrn S’s „etwas schroffen Art“ zurechtzukommen. Ihm gelingt es aber bereits viel besser, dessen Interaktionen nicht mehr persönlich zu nehmen und Herrn S. Talente gut zu nutzen.
Hast du Interesse daran, zu erfahren, wie es sich bei Sebastian danach entwickelt hat und welche erweiterten NLP-Methoden im Coaching hilfreich sein können? Mehr dazu erfährst du hier: Fallbericht
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