von Albert Glossner, 18. Mai 2022
Zunächst ganz einfach: Flourishing und Aufblühen sind das gleiche. Jetzt aber die komplizierte Frage: Was genau ist mit diesem in der Positiven Psychologie so häufig verwendeten Begriff gemeint? Und was kann ich für mein „Aufblühen“ tun?
Der Begriff Flourishing wurde durch Keyes (2002) erstmalig geprägt und gilt seit dem gleichnamigen Buch von Seligman (2010) als zentrales Konzept der Positiven Psychologie. Wesentliches Ziel der Positiven Psychologie ist, zum Flourishing (= „Aufblühen“) der Menschen beizutragen. Je nachdem, auf welche Weise und in welchem Land „Flourishing“ erfasst wird, befinden sich ca. zwischen 8 % und 40 % der untersuchten Personen in diesem Zustand. Als Ziel der Positiven Psychologie wurde einmal erklärt, dazu beizutragen, dass sich 2050 50% der Menschen weltweit in diesem Zustand befinden. Was ist nun genau mit Flourishing gemeint?
Ein Schwerpunkt der Positiven Psychologie ist das Wohlbefinden von Menschen. Wohlbefinden wird in der Positiven Psychologie häufig synonym zum Begriff Glück verwendet und meint einen zeitlich dauerhafteren positiven Zustand als lediglich Stimmung. Verschiedene Autoren verwenden nun ein jeweils unterschiedliches Verständnis von Wohlbefinden, indem sie jeweils unterschiedliche Aspekte des Wohlbefindens betonen. Manche Ansätze betonen eher emotionale Aspekte in Richtung von Wohlfühlen, manche eine eher kognitive Einschätzung im Sinne einer Lebenszufriedenheit, manche betonen eher psychologische Aspekte wie Selbstakzeptanz oder Entwicklung.
Flourishing ist demgegenüber ein umfassender Ansatz, der beansprucht, mehrere Komponenten des Wohlbefindens zu einem Konzept zusammenzufassen. Flourishing bedeutet demnach nicht nur sich wohlzufühlen. Flourishing meint hier einen Zustand,
Bereits die WHO (Weltgesundheitsorganisation) hat 1946 den Begriff Gesundheit definiert als „Gesundheit ist ein Zustand vollständigen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und mehr als nur die Abwesenheit von Krankheit“. Aber wie können wir es sprachlich ausdrücken, dass wir dieses positive Verständnis von Gesundheit meinen? Die Begriffe „vital“ oder „kraftvoll“ beschreiben dieses positive Verständnis von Gesundheit besser, als nur „gesund“. Wenn wir dieses Verständnis von der körperlichen auf die psychische Ebene übertragen, stellt sich auch hier die Frage, mit welchem Begriff wir den Zustand optimaler, mentaler oder psychischer Gesundheit beschreiben können. Rogers hat hier in den 60er Jahren den etwas sperrigen Begriff der „Fully functioning person“ (häufig übersetzt mit „sich selbst aktualisierende Person“) geprägt. Die Positive Psychologie hat hier den Begriff des „Flourishing“ eingeführt und versteht ihn unter anderem als Optimum psychischer Gesundheit.
Einen anderen Weg, Flourishing zu verstehen, geht Keyes (2002). Er definiert „Flourishing vs. Languishing“ (Aufblühen vs. Verwelken) als eine Dimension, die unabhängig ist von der Achse psychisch krank vs. psychisch gesund. Er vertritt also die Ansicht, dass auch Menschen mit einer psychischen Erkrankung aufblühen können, so wie es möglich ist, dass psychisch gesunde Menschen sich nicht weiterentwickeln, sondern „verwelken“. Damit tritt der Prozesscharakter des Flourishing in den Vordergrund.
Gerade die Arbeiten von Seligman haben die Entwicklung der Positiven Psychologie in ihren ersten Jahren sehr stark geprägt. Er unterscheidet in seinem Modell des authentischen Glücks (Seligman 2004) drei unterschiedliche Quellen von Glück. Er postuliert, dass jeder Mensch Glück aus diesen drei Quellen jeweils auf andere Weise definiert.
Das angenehme Leben (Life of pleasure) ist durch sinnlichen Genuss und eher kurzfristiges Vergnügen geprägt. Daniela Blickhan hat hierfür den Begriff des „Wohlfühlglücks“ geprägt und entspricht dem hedonistischen Glücksbegriff.
Eine andere Ausrichtung auf Glück ist die des guten Lebens (Life of Meaning). Hier steht der eigene Beitrag, das Leben nach eigenen Werten, das „Sinn im Leben stiften“ dafür, was letztendlich glücklich macht. Diese Ausrichtigung ist eher langfristig geprägt. Daniela Blickhan hat dies „Werteglück“ genannt und entspricht dem eudaimonischen Glücksbegriff.
Die dritte Form des Glücks (Life of Engagement, das engagierte Leben) geht auf das Konzept des „Flow“ von Mihaly Csikszentmihalyi zurück und wird umgesetzt durch Engagement in Aktivitäten, in denen ein Mensch voll und ganz aufgeht. Hier steht nicht Genuss oder Vergnügen, sondern die Aktivität an sich im Vordergrund, in der man aufgeht und sogar Raum und Zeit vergessen kann.
Das PERMA-Modell ist ein sehr eingängiges und mittlerweile sehr verbreitetes Konzept von Flourishing und eines der bekanntesten Modelle der Positiven Psychologie. Das PERMA-Modell integriert die oben beschriebenen drei Formen des Glücks und ist um zwei weitere Bestandteile erweitert.
PERMA steht für:
Positive Emotions (früher: life of pleasure)
Engagement (früher: Life of engagement)
Relationship
Meaning (früher: life of meaning)
Accomplishment
Positive Emotions (Positive Emotionen): Hier geht es um das Wohlbefinden oder ganz schlicht ausgedrückt: Erlebe ich mehr positive oder mehr negative Emotionen in meinem Leben? Speziell Barbara Fredrickson hat zu diesem Thema viel geforscht und einerseits zur Bedeutung positiver Emotionen für Lernen, Aufbau von Ressourcen, Resilienz und Lebenszufriedenheit geforscht, zum anderen aber eine Vielzahl sehr praktischer Wege beschrieben, wie Menschen mehr positive Gefühle in ihr Leben einladen können.
Engagement: Mit Engagement nimmt Seligman Bezug zum Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi, der mit dem Begriff Flow einen selbstvergessenen und glücksbringenden Zustand meint, den er zunächst in der Beobachtung von Musikern, Sportlern und Spezialisten aller Art beobachtet hat. Flow wiederum tritt dann auf, wenn Menschen eine passende Balance von Anforderung und Fähigkeit erleben und in ihrer Arbeit ihre Stärken einsetzen und ihre Stärken ausbauen können. Wenngleich die meisten Menschen Engagement in der Arbeitswelt erleben, ist der Begriff nicht nur auf Arbeit begrenzt.
Relationship (Beziehung): Relationship bezieht sich auf die Intensität sozialer Beziehungen. Forschungen haben gezeigt, dass sowohl Lebenszufriedenheit als auch Lebenserwartung signifikant steigen, sobald es eine Person gibt, mit der ein intensiver, positiver und erfüllender Kontakt möglich ist.
Meaning (Sinn): Ein weiterer Aspekt, der zum Aufblühen führt, ist die Frage, inwieweit ich Sinn in meinem Leben erlebe. Inbesondere Tatjana Schnell hat hierzu im deutschsprachigen Raum geforscht und beispielsweise „Generativität“ (also die Weitergabe von Werten an zukünftige Generationen) und „Religiosität“ als häufigste Wege beschrieben, in denen Menschen Sinn erleben. Auch scheint es von Bedeutung zu sein, in mehreren Lebensbereichen (optimalerweise mindestens vier) Sinn zu erleben.
Accomplishment (Zielerreichung): Accomplishment steht für das Erleben, seine Ziele auch zu erreichen. Es ist ein Konzept, das mit der Selbstwirksamkeit sehr stark verbunden ist. Also die Frage, inwieweit schätze ich es so ein, dass ich mit meinem Einsatz eine Wirkung erziele und erlebe, dass ich Dinge, die ich mir vornehme, auch erfolgreich umzusetzen in der Lage bin.
Ein noch aktuellerer Ansatz, Flourishing zu definieren und zu messen, wurde von VanderWeele im Jahr 2017 veröffentlicht. Er unterscheidet 6 Dimensionen von Flourishing:
Er hat eine – aus meiner Sicht – sehr pragmatische Definition von Flourishing vorgeschlagen: „Flourishing ist ein Zustand, in dem alle Aspekte des Lebens einer Person gut sind.“
Je nachdem, welches Konzept von Flourishing genutzt und wie Flourishing gemessen wird, ergeben sich hier natürlich andere Zahlen. Der erste Forscher, der auch den Begriff „Flourishing“ genutzt und eingeführt hat, war Keyes. Er hat in einer Studie mit 3000 Personen im Jahr 2002 in den USA ermittelt, dass sich 12 % der Personen im Zustand des Flourishing befinden.
Interessant finde ich hier die Studie von Huppert (2013), der Flourishing in einer Studie in 22 europäischen Ländern erhoben hat. Er konnte einen großen Unterschied in verschiedenen europäischen Ländern feststellen: Spitzenreiter ist Dänemark, hier schätzen sich 40 % der Erwachsenen als aufblühend ein, Deutschland liegt mit 20 % im Mittelfeld und Schlusslichter bilden Russland und Portugal mit 8 %.
In der Positiven Psychologie gibt eine große Vielzahl von Übungen und Interventionen, die Flourishing unterstützen. Der positive Effekt vieler dieser Interventionen konnte in Studien bestätigt werden. Wenn es darum ginge, auf der Grundlage meines bisherigen Wissens und meiner Erfahrungen 5 Wege zum Aufblühen auszuwählen und zu empfehlen, dann wäre meine persönliche Auswahl folgende:
Sich regelmäßig bewusst zu machen, wofür ich dankbar bin, hat eine starke und unmittelbare Auswirkung auf das Wohlbefinden.
„Mindwandering“ – also das ständige Umherschweifen der Gedanken wurde in einer Studie von Killingsworth als Ursache für Unzufriedenheit beschrieben. Die tägliche Beruhigung des Geistes, die Schulung von Konzentration und Aufmerksamkeit halte ich für eine notwendige und wesentliche Übung für psychisches / geistiges Training und hat vielfältige positive Effekte auf Stimmung und psychische Gesundheit.
Den unmittelbaren Einfluss von körperlicher Bewegung auf die eigene Stimmung, am besten in der Natur, hat wahrscheinlich jeder schon erlebt. Es dürfte kaum ein Mittel geben, das einen so unmittelbaren positiven Effekt auf Stimmung hat, wie körperliche Bewegung.
Die Auseinandersetzung mit eigenen Stärken fördert das Wohlbefinden. Der Einsatz eigener Stärken und deren Einsatz für sich, für andere und für das Wohl der Welt steht in enger Verbindung damit, das eigene Leben als sinnhaft zu bewerten.
Das Entwickeln und das Üben von Selbstmitgefühl stammt eigentlich aus der Tradition des Buddhismus und wurde als Intervention der Positiven Psychologie auch empirisch überprüft. Weniger kritischer / negativer Umgang mit sich selbst, höhere Einfühlung in andere und höheres Wohlbefinden sind Effekte des Übens von Selbstmitgefühl.
Viel Freude beim Aufblühen!
Flourishing ist eines der zentralen Themen des Seminares „Einführung in die Positive Psychologie“.
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