von Albert Glossner, 21. März 2023
Das Modell der Charakterstärken und der damit verbundene VIA-Stärkentest als Messinstrument ist eines der wichtigsten Beiträge der Positiven Psychologie. Der Einsatz von Stärken fördert Wohlbefinden, Engagement, positive Beziehungen, Sinnerleben, Zielerreichung und damit das gesamte Aufblühen. Welchen Hintergrund hat dieses Modell und was genau ist mit Charakterstärken gemeint?
1998 hat Martin Seligman als Präsident der APA (American Psychological Association) die Psychologie dazu aufgerufen, sich neu auszubalancieren. Im 20. Jahrhundert stand vor allem die Erforschung, Beschreibung und Behandlung psychischer Störungen im Zentrum der Psychologie. Nun sei es an der Zeit, Positivem den gleichen Platz in der Forschung einzuräumen wie bislang dem Negativen. So entstand die „Positive Psychologie“ mit folgenden Fragen im Fokus:
Bereits in einer der ersten Konferenzen der Positiven Psychologie im Februar 2000 einigten sich die beteiligten Wissenschaftler*innen, ein groß angelegtes Projekt zur Klassifikation von Tugenden und Stärken zu starten. In diesem Forschungsprojekt, das von Martin Seligman und Christopher Peterson geleitet wurde, arbeiteten 55 Wissenschaftlerinnen mit und auch die damaligen maßgeblichen Vertreter und Vertreterinnen der Positiven Psychologie, wie Barbara Fredrickson, Mihaly Csikszentmihalyi, Ed Diener, Donald Clifton, Howard Gardner und Robert Sternberg.
Ziel des Projekts war es, zeit- und kulturübergreifend gültige Stärken zu finden, die einen „guten Charakter“ auszeichnen. Bislang existierten in der Psychologie nur defizitorientierte Klassifikationssysteme (z. B. DSM-5, ICD-10). Die Positive Psychologie benötigte eine einvernehmliche Benennung und Klassifikation positiver Eigenschaften, die als Rückgrat für Forschung, Diagnostik und Intervention dienen kann. Das Forschungsprojekt wurde in dem zu diesem Zweck gegründeten VIA-Institut angesiedelt. „VIA“ steht für „Values in Action“.
Um dahin zu kommen, ist die Forschergruppe einen interessanten Weg gegangen. Sie haben zeitgenössische und alte Texte analysiert, um Stärken zu finden, die über die Zeit hinweg in verschiedenen Kulturen als wertvoll betrachtet wurden. Folgende Quellen wurden berücksichtigt:
In einem ersten Schritt wurden aus diesen unterschiedlichen Quellen sechs Themenfelder identifiziert, die sich in allen Kulturen wiederfinden lassen. Diese Stärkenfamilien wurden als Tugenden („virtues“) bezeichnet. Die sechs Tugenden sind:
In einem zweiten Schritt wurden die in der Literatur gesammelten Stärken anhand zunächst definierter Kriterien geprüft. Beispielsweise wurden die Stärken „Ehrgeiz“ und „Autonomie“ nicht in den Katalog übernommen, da sie vor allem westlich geprägt sind, andere Stärken wurden nicht aufgenommen, weil sie sich durch eine Kombination andere Stärken beschreiben lassen. Auf diesem Weg blieben 24 Charakterstärken, die den sechs Tugenden zugeordnet wurden. Diese wurden durch Peterson und Seligman 2004 veröffentlicht. In interkulturellen Forschungen konnte Robert Biswas-Diener 2006 belegen, dass die 24 Charakterstärken in verschiedensten Kulturen (Maasai in Kenia, Inuit in Nordgrönland) als positive Stärken existieren.
Kognitive Stärken, die den Erwerb und den Gebrauch von Wissen beinhalten.
Emotionale Stärken, die mittels der Ausübung von Willensleistung internale und externale Barrieren zur Erreichung eines Zieles überwinden.
Interpersonale Stärken, die liebevolle, menschliche Interaktionen ermöglichen.
Stärken, die das Gemeinwesen fördern.
Stärken, die Exzessen entgegenwirken.
Stärken, die uns einer höheren Macht näherbringen und Sinn stiften.
Neben der Benennung und Kategorisierung von Charakterstärken war es von Anfang an Teil des Forschungsprojekts, auch ein Messinstrument zu entwickeln. Nach mehreren Überarbeitungen wurde der VIA-Fragebogen mit guter Reliabilität und hoher Validität im Jahr 2004 der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Der VIA-Fragebogen ist ein Selbstbeurteilungsfragebogen, der die Nutzung der 24 Charakterstärken anhand von 120 Fragen erfasst. Der Fragebogen wurde mittlerweile in mehr als 35 Sprachen übersetzt. Als Ergebnis gibt er eine Rangfolge der Nutzung der 24 Charakterstärken und bietet dadurch eine Grundlage für das Erkennen eigener Stärken, für die individuelle Arbeit mit Stärken und für die Entwicklung eigener Stärken. Für einen Vergleich mehrerer Personen ist der Fragebogen und damit zur Personalauswahl und -einschätzung ist er nicht konzipiert und geeignet.
Die deutsche Version des VIA-Stärkentests steht auf einer Internetseite, die von der Universität Zürich betrieben wird, öffentlich und kostenfrei zur Verfügung: www.charakterstaerken.org
Die unterschiedlichen Übungen und Interventionen aus der Positiven Psychologie zur Arbeit mit Stärken können in folgende Kategorien unterteilt werden:
In anderen Beiträgen habe ich bereits folgende Intervention beschrieben.
Das Stärkengespräch: Hier kommst du zum Beitrag
Die Stärkenversteigerung: Hier kommst du zum Beitrag
Beide Interventionen eignen sich dazu, eigene Stärken zu erkennen bzw. zu priorisieren.
Als Signaturstärken werden die individuellen TOP-Stärken bezeichnet. Also die 3-5 Charakterstärken, die einen Mensch ausmachen. Der Einsatz dieser Stärken wird auch als besonders erfüllend erlebt und als Bestandteil der eigenen Persönlichkeit verstanden. Die Merkmale von Signaturstärken sind:
Gelingt es, die Signaturstärken im eigenen Arbeitskontext intensiv einzusetzen, so ergibt sich daraus meist eine hohe Erfüllung mit der Arbeit. Oft ist auch Flow-Erleben eine Folge davon.
In der Arbeit mit diesem Modell der Charakterstärken konnte die Positive Psychologie unter anderem belegen:
Das neben dem Modell der Charakterstärken anerkannteste und verbreitetste Stärkenmodell ist der Gallup StrengthsFinder, der zuerst 1999 von Donald Clifton aus Umfragen entwickelt wurde und aktuell in der Version 2.0 vorliegt. Die Grundversion des Tests kann jeder machen, der sich das entsprechende Buch kauft. Während sich die VIA-Charakterstärken auf persönliche Stärken in allen Lebensbereichen bezieht, ist der Gallup-Test auf den Arbeitskontext bezogen und identifiziert berufsbezogene Stärken. Dies macht den Einsatz der Gallup StrengthsFinder im Business attraktiv. Für einen Einsatz in der Persönlichkeitsentwicklung halte ich die VIA Charakterstärken für geeigneter.
Mehr zu Charakterstärken, zum Einsatz von Stärkeninterventionen und zum Erkennen eigener Charakterstärken bietet die Ausbildung zum/ zur Anwender*in Positive Psychologie. Einen guten Einblick in diese Ausbildung bietet das zweitägige Seminar Einführung Positive Psychologie.
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